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Buchtipp: Bunker und Bullis: Eine Zeitreise

Ein T2, ein Glascontainer, ein Betonklotz, schwarzweiß fotografiert. DAS soll ein Buch für Bulli-Fans sein? Das hat sich auch unser Mitarbeiter Heiko P. Wacker gefragt, und sich dem Buch gewidmet. Eins vorab: Ja, es ist ein Buch für Bulli-Fans. Und zwar ein sehr spezielles!

 ©Sprungturm Verlag Köln

Lange bevor der VW Bulli zum Sehnsuchtsfahrzeug wurde, zur Ikone, zum Lifestyle-Objekt, da waren die Transporter der ersten, der zweiten oder der dritten Generation schlicht und ergreifend Nutzfahrzeuge. Sie wurden benutzt, in manchmal fragwürdigem Zustand über die Hauptuntersuchung gerettet, und vor allem begleiteten sie den Alltag der Handwerker, der Künstler, der kleinen Dienstleister. 
Und genau deshalb schlägt sich der Bogen zu den Nazibunkern des Zweiten Weltkriegs, die nach 1940 allenthalben in deutschen Städten entstanden, und dort häufig noch heute stehen. Hässlich, vor Beton strotzend, oft grau künden sie von der Zeit alliierter Luftangriffe. Und natürlich hat sich die deutsche Nachkriegszeit ihre Gedanken zu diesen Bunkern gemacht, die oft genug zu monströs, zu voluminös, zu teuer in der Entsorgung waren und sind, um sie abzureißen. Also bleiben sie stehen, um in den friedensbewegten Zeiten der 1970er- und vor allem der 1980er-Jahre plötzlich mit Graffitis, Kunst und antifaschistischen Sprüchen verziert zu werden.

Und natürlich suchte man nach Möglichkeiten, diese Betonmonster in den Innenstädten in irgendeiner Form zu nutzen. Da werden Lagerräume eingerichtet, Handwerker stapeln ihre Gerüste, Musiker lassen es bei den Proben so richtig krachen, Beton dämpft den Sound, Künstler nutzen die kalten Räumlichkeiten, um neue, kreative Ideen umzusetzen. Also ziehen eben genau jene Menschen der westdeutschen Nachkriegszeit in die brutalen Gebäude, die eben auch den Bulli fahren, entsprechend oft parkt nun ein solcher vor der Hütte. Und genau so kommen wir zum Buch – und zur Kunst. Und das zum Preis einer etwas größeren Pizza.

Denn der Fotograf Boris Becker – es gibt einen Tennisspieler, der wird oft mit ihm verwechselt – fotografierte in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre besagte Luftschutzbunker, in seinem Vorwort schreibt er selbst, dass er damals rund fünfzig deutsche Großstadtverwaltungen mit der Bitte angeschrieben habe, ihm die Adressen der noch vorhandenen Bauwerke mitzuteilen. In der Folgezeit lichtete er rund 700 Hochbunker in ganz Deutschland mit der Mittelformatkamera ab, aus diesem Fundus erschienen ihm ungefähr 180 Objekte als so interessant, dass sie nochmals unter optimalen Bedingungen mit der Großbildkamera fotografiert wurden. Solcherart entstand ein einzigartiges Bildinventar, ein facettenreicher Überblick über diese massiven Bauten, die trotz ihrer gleichen Grundidee architektonisch recht vielfältig sind.

Wie dem auch sei: Diese Überbleibsel des Krieges stehen 40 Jahre später natürlich immer noch, und ragen in die Zeit der Friedens- und Antiatomkraftbewegung hinein, es geht um die Forderung nach Abrüstung, die oft auf der Flanke eines Bulli gepinselt wurde, es geht nun auch um die Frage, wie und warum während der Wirtschaftswunderzeit nicht mehr nach dem „Warum?“ gefragt wurde. Und auch der T1, der Lastesel des Wirtschaftswunders, begann just zu rollen, als man am liebsten vergessen wollte, was geschehen war. Man war doch wieder wer! Die 1950er feierten lieber eine gewonnene Weltmeisterschaft, als zu genau hinzuschauen, wenn bräunlich belastete Politiker oder Wirtschaftslenker erfolgreich waren.

Und deshalb sind die kriegerischen Funktionsbauwerke auch die Manifestation einer kulturellen Umnutzung zum Silo, zum Probenraum, zum Kunstatelier. Gezwungenermaßen werden die Bunker in die Städte integriert, diese Mahnmale brauner Nazidiktatur werden einer zivilen Verwendung zugeführt, die davor abgestellten Fahrzeuge demonstrieren dies. Das populärste Nutzfahrzeug jener Zeit zeugt deutlich von der Vereinnahmung der Naziarchitektur durch die Zivilgesellschaft.

Da steht in Mönchengladbach im Jahr 1985 vor dem Bunker „An der Siep“ der Handwerker-T3, es geht um Heizung, Sanitär und Haustechnik, in der Hamburger Löwenstraße kann man durch den Bunker hindurchfahren, bunte Bemalungen zeigen deutlich die Vereinnahmung durch die Kunst, davor parkt ein T2 Fensterbus, und in der „Wörth“ in Frankfurt am Main ist die Piste glänzend vom Regen, ein T2 parkt davor, an den Radläufen nagt vielleicht schon die braune Pest – und am Betrachter nagen Gedanken und Erinnerungen eben an die 80er.

Und plötzlich wird es bunt im Kopf! Ein wunderbares Beispiel ist ein in der Barmbeker Straße in Hamburg, hier entstand ein Möbellager auf vier Etagen. Davor parkt ein T3 mit Campinghochdach, und man fragt sich sofort, zwecks welcher Ware der wohl hier war. Immerhin steht der Camper sehr propper da, oft sind die Vehikel durchaus mitgenommen, sind auch mal im Zebralook bemalt, es sind bunte Nutzfahrzeuge, und nur die Abbildungen sind grau, während es im Kopf regelrecht grell werden kann.

Und deshalb sollte man sich für dieses Büchlein Zeit nehmen. Denn wer meint, ach die fuffzich Seiten blättere ich mal eben durch, der wird schnell merken, dass er auf einmal wieder zurückblättern muss, doch noch mal schauen muss in die Hamburger Palmerstraße, in die Bremer Lessingstraße, in die Feidikstrasse in Hamm oder in die Schmidtstraße in Frankfurt am Main, dort klemmt Zigarettenwerbung an der Fassade, wie sie heute nicht mehr üblich ist

Es ist ein Epochensprung durch westdeutsche Städte, allesamt nördlich der Mainlinie gelegen, und deshalb ist „Bunker und Bullis“ mehr als nur die Publikation eines begnadeten Fotografen. Es ist eine kleine Reise in jene Zeit, als der Bulli noch weit weg war vom Vanlife und vom Kult. Als er nicht mehr war als ein Nutzfahrzeug. Aber auch nicht weniger. Es ist gut, sich auch daran zu erinnern.

Boris Becker: Bunker und Bullis. Sprungturm Verlag Köln, 56 Seiten, 35 Bilder, Format 213 x 150 mm, Softcover, ISBN 978-3-9819022-0-4, 14,50 Euro.

Heiko P. Wacker

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